Rückenschmerzen
Rückenschmerzen sind die am häufigsten geklagten Beschwerden in einer orthopädischen Praxis und schränken somit auch die Mobilität im Alter ein. Die Wirbelsäule ist in 3 Abschnitte eingeteilt: Hals- (HWS), Brust- (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS). Die Diagnosen „Lumbalgie“, „Lumboischialgie“, „Cervialgie“ und Cervicobrachialgie“ beschreiben nur, wo der Schmerz sitzt und ob er in die Arme oder Beine ausstrahlt ohne die Ursache zu berücksichtigen. Die Ursachen müssen aber erkannt werden, um die richtige Therapie zu wählen.
Blockierungen der Wirbelsäule
Darunter versteht man plötzliche schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, bei denen sich die Wirbel „verhaken“. Sie sind sehr häufig und können mit Chirotherapie („Einrenken“) meist schnell beseitigt werden. Zuvor müssen aber andere Ursachen durch eine gründliche Untersuchung, eventuell Röntgen und/oder andere bildgebende Verfahren, ausgeschlossen werden. Bei länger bestehenden Blockierungen ist zusätzlich eine Gabe von Schmerz- oder Antirheumamitteln für einige Tage sinnvoll. Gerade die Chirotherapie an der HWS gehört in die Hand eines erfahrenen Arztes, dort ist ein Röntgenbild vor der Therapie zum Ausschluss von Gegenanzeigen erforderlich.
Bandscheibenerkrankungen
Bandscheiben sind die Puffer zwischen den Wirbeln, sie bestehen aus einem weichen Kern und einem straffen Faserring. Im Lauf des Lebens nehmen der Flüssigkeitsgehalt des Kernes und die Elastizität des Faserringes ab, es kommt dann zu Vorwölbungen (Protrusionen) der Bandscheiben. Wenn der Faserring ganz aufreißt und der weiche Kern hervorquillt, spricht man von einem Bandscheibenvorfall (Prolaps). Welche Beschwerden dabei entstehen, hängt von der Lage des Prolapses und der Enge des Wirbelkanales ab. Werden Nerven abgedrückt, kommt es zu vom Nacken in den Arm oder von der LWS in das Bein ausstrahlenden Schmerzen, zu Gefühlsstörungen oder sogar zu Lähmungen. Die Darstellung des Bandscheibenvorfalles erfordert eine Kernspintomografie (MRT), die bei Hinweisen auf eine Nervenkompression veranlasst werden sollte. Liegt eine Lähmung vor, sollte sofort operiert werden (Entfernung des vorgefallenen Gewebes), sonst sollte immer eine konservative (ohne OP) Behandlung versucht werden, die meistens erfolgreich ist. Dazu gehören abschwellende Medikamente (Cortison und/oder Antirheumamittel), muskelentspannende Medikamente, Wärme, Streckbehandlung und Krankengymnastik. Erst bei Nichtansprechen dieser Maßnahmen sollten eine PRT (= periradikuläre Therapie: Cortisoninjektion direkt an die Nervenwurzel) oder eine Operation durchgeführt werden.
Arthrose der Wirbelgelenke und Stenose
Wie jedes Gelenk können auch die Wirbelgelenke eine Arthrose („Gelenkabnutzung“) entwickeln (s. auch die beiden vorigen Artikel). Typischerweise klagen die Patienten über einen ständigen Schmerz, der nachts schlimmer wird. Behandelt werden diese Arthrosen (wie alle Arthrosen) mit entzündungshemmenden Medikamenten (als Tabletten oder Injektionen), Wärme, Streckung und Krankengymnastik (auch im Bewegungsbad). Bei lange bestehenden Arthrosen können die knöchernen Auftreibungen der Gelenke so stark werden, dass der Wirbelkanal (meist an der LWS) verengt wird („Stenose“, im Bereich der LWS „Lumbalstenose“). Es kommt dann bei längerem Gehen zu einen Durchblutungsstörung der Nerven mit einem Schwächegefühl in den Beinen. Wenn konservative Maßnahmen nicht mehr ausreichen, kann hier der Wirbelkanal mit einer Operation erweitert werden.
Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten
Die oben beschrieben 3 Ursachen decken die meisten Rückenschmerzen ab, dennoch gibt es eine Vielzahl weitere Ursachen: z. B. Gleitwirbel, spontane Knochenbrüche bei Osteoporose, Tumoren. Es ist also bei länger bestehenden Rückenschmerzen immer eine sorgfältige Untersuchung erforderlich.
Entzündungen der Bewegungsorgane
Bei Entzündungen denkt man oft an Bakterien (Eiter) oder Viren. Diese Ursachen für Entzündungen sind an den Bewegungsorganen sehr selten. Gegen Bakterien – und nur dort! - kommen Antibiotika zum Einsatz, bei Viren gibt es meist keine ursächliche Therapie.
„Rheuma“
Rheumatische Entzündungen können durch eine Gruppe von Autoimmunkrankheiten ausgelöst werden, deren Ursache bisher nicht vollständig geklärt ist. Es kommt dabei zu einem Fehler im Immunsystem, bei dem körpereigenes Eiweiß als körperfremd „erkannt“ wird und dadurch wird eine Entzündungsreaktion häufig in den Gelenken und Sehnen ausgelöst. Diese Krankheiten sind selten, verlaufen meist in Schüben und bedürfen einer lebenslangen Therapie mit Medikamenten, die die Immunreaktion herabsetzen und anderen, die die Entzündungsreaktion dämpfen (Antirheumatika, Cortison).
Rheumaähnliche Entzündungen
Bei einer Infektion mit Borrelien, Clamydien, Shighellen, Salmonellen, Yersinien oder einigen Bakterien kann es zu einer Entzündungsreaktion kommen, die von einer rheumatischen nicht zu unterscheiden ist. Im Gegensatz zum „Rheuma“ verschwindet aber diese Entzündung nach erfolgreicher antibiotischer Behandlung der Erreger.
„mechanische“ Entzündungen
Am häufigsten sehe ich als Orthopäde Überlastungsschäden: Das sind mechanische Reizungen an den Sehnen und Muskelansätzen und an den Sehnenscheiden. Dazu gehören auch die aktivierten Arthrosen (s. Artikel in der Februarausgabe). Am bekanntesten sind vielleicht der „Tennisellenbogen“ oder die „Sehnenscheidenentzündung“. Es kommt dabei an der Knochenhaut eines Sehnenansatzes oder in dem Gleitgewebe („Sehnenscheide“) einer Sehne zu einer Reizung. Diese verursacht Schmerzen, manchmal auch eine Rötung, Schwellung, Überwärmung oder ein Reiben bei Bewegung. Die Behandlung besteht in der akuten Phase in einer Ruhigstellung (Verband oder Schiene), Kühlung und der Gabe von Antirheumatika (z. B. Diclofenac, Ibuprofen oder Cortison). Nach Abklingen der akuten Entzündungszeichen sollten dann Übungen (Dehnung, Kräftigung) das Wiederauftreten der Reizung verhindern. Gelegentlich sind degenerative Veränderungen der Sehnen (z. B. beim „schnellenden Finger“ oder der Achillessehne) mit für die mechanische Reizung verantwortlich, dann kann es erforderlich sein, durch eine Operation die mechanische Ursache zu beseitigen.
Mein Fazit zur Mobilität im Alter:
Mobilität im Alter ist wichtig, sie hält jung, gibt das Gefühl „etwas geschafft zu haben“, steigert somit das körperliche und damit auch das seelische Wohlbefinden . Sollte eine Krankheit Ihre Mobilität einschränken, sollten Sie unbedingt einen Arzt aufsuchen. Akute Krankheiten kann dieser meist beseitigen, chronische wird er lindern, so dass Sie damit möglichst lange mobil leben können.
Meine liebe Katharina!
Vor mehr als 8 Jahren habe ich einen offenen Brief an deinen Bruder geschrieben, als er im Alter von 12 Jahren äußerte, er wolle Orthopäde werden. Dieser Brief ist in vielen Zeitungen (z.B. „zeit-online“) veröffentlicht worden und noch heute im Internet abrufbar („Papa, ich möchte Orthopäde werden!“). Alle Leser waren erstaunt, dass ich trotz der beschriebenen Widrigkeiten nicht vom Arztberuf abriet, sondern für den „schönsten Beruf der Welt“ warb. Ich war überrascht über die vielfältige positive Resonanz von Patienten und Kollegen, so erhielt ich z.B. eine Einladung zu einem Kongress über die Zukunftschancen des Arztberufes. Dein Bruder hat sich aber inzwischen anders entschieden und studiert Betriebswirtschaftslehre.
Du möchtest jetzt nach einer Berufsberatung und dem Absolvieren mehrerer Praktika Medizin studieren. Deshalb möchte ich dir die aktuelle Situation des Arztberufes darstellen: Nach deinem sehr guten Abitur im letzten Jahr bist du erst einmal am Numerus clausus gescheitert. Um einen der 20% sicheren Plätze über die „Leistungsliste“ zu bekommen, hättest du einen Durchschnitt von 1,0 haben müssen! Die 20% der Plätze der Warteliste stehen dir erst nach 6-7 Jahren Wartezeit zur Verfügung, in der du kein anderes Studium in Deutschland aufnehmen dürftest. Die restlichen 60% der Plätze werden nach den unterschiedlichsten Auswahlverfahren der einzelnen Universitäten vergeben, für die man sich an höchstens 6 Orten bewerben kann, aber auch für die Teilnahme an einem Auswahltest kommt es überwiegend auf die Abiturnote an, so dass man mindestens 1,5 oder besser haben müsste.
Die Verschärfung der Auswahlkriterien für deinen Jahrgang verdankst du dem „Turboabitur“ mit Doppeljahrgängen in großen Bundesländern und der Abschaffung des Wehr- und Ersatzdienstes. Die Zahl der Bewerber stieg im letzten Wintersemester um ca. 20%, die Zahl der Studienplätze blieb aber unverändert. Diese Situation wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Wissen eigentlich die Politiker, welchen Frust das bei der Jugend schafft?
Deine Bewerbung um einen Studienplatz im Ausland war fast erfolgreich, nur 0,1 Notenpunkte hatten dir gefehlt. Die hättest du erreicht, wenn dein Geigenvorspiel im Abitur mit 15 statt 14 Punkten bewertet worden wäre. Du hattest zwar jahrelang die 1. Geige in eurem Schulorchester gespielt und gelegentlich die Orchesterleitung vertreten, aber bei deinem fehlerfreien Vorspiel im Abitur hattest du im 2. Satz „zu wenig piano“ gespielt. Wissen eigentlich die Lehrer, was sie ihren Schülern antun?
Die Auswahlkriterien in Deutschland sagen den Studienerfolg des Examens gut vorher, denn fast alle Studenten legen in der kürzesten Zeit ihr Examen ab, es gibt kaum Studienabbrecher. Nur dann nehmen von allen jungen Ärzten nur ca. 60% eine Tätigkeit als Arzt in Deutschland auf. Die anderen gehen ins Ausland, zu Beratungsfirmen, Verlagen oder in die Industrie. Die Auswahlkriterien bewerten also nicht die Bereitschaft und Fähigkeit als Arzt tätig zu sein! Der „Gesundheitsmarkt“ hat die größten Wachstumschancen, aber immer mehr Menschen verdienen ihr Geld an der Medizin als Berater, Gesundheitsökonomen (so wie der mit der Fliege), Controller und Manager, als in der Medizin als Ärzte oder Pflegepersonal. Aber nur durch letztere werden Patienten gesund!
Oder liegt die „Abwanderung“ der jungen Ärzte an den schlechten Arbeitsbedingungen in Deutschland? Die finanzielle Situation hat sich zumindest für die niedergelassenen Ärzte ständig verschlechtert. Ich bin jetzt 21 Jahre in meiner eigenen Praxis tätig. In der Zeit hat sich die Zahl der von mir versorgten gesetzlich versicherten Patienten („Kassenpatienten“) um ca. 20% erhöht, das Honorar aber um 20% vermindert! Ich musste deshalb in dieser Zeit 50% des Personals entlassen, was die Therapiemöglichkeiten und den Service einschränkt. Ich bekomme zurzeit ca. 24 € für die Behandlung eines Kassenpatienten pro Quartal (eventuell + 5€ für Chirotherapie und + 11 € für Röntgendiagnostik), egal wie häufig er behandelt wird. Mein Besuch beim Frisör ist teurer und zweimal im Quartal erforderlich und zweimal zu bezahlen! Diese Pauschalen bekomme ich auch nur bis zu einem Budget, das so niedrig bemessen ist, das es jedes Quartal nur für 2 Monate reicht. So ist es jetzt im März besonders motivierend, die Knöchelverstauchung eines Schifahrers, der in Österreich für die ambulante Behandlung 800 € (!) bezahlt hat, ohne Bezahlung weiter zu behandeln.
Auch die Gebührenordnung für die Behandlung der Privatpatienten wurde immer noch nicht angepasst. Sie ist seit 1988 in der Struktur und seit 1996 in der Höhe unverändert! Die Kosten für Praxisräume, Energie, Material usw. sind in den 21 Jahren aber um mindestens 30% gestiegen! Dass wir dennoch unseren Lebensstandard halten konnten liegt an meinen überdurchschnittlichen Privateinnahmen und Einnahmen aus „Selbstzahlerleistungen“ (die der Herr mit der Fliege und seine Partei nun auch noch unterbinden will), der Rückzahlung des Praxiskredites und von praxisunabhängigen Familieneinnahmen. Außerdem arbeite ich weiterhin fast 70 Stunden pro Woche und mache unverändert nur 2x2 Wochen Urlaub pro Jahr.
Die finanzielle Situation der angestellten Ärzte ist ebenfalls nicht gerade üppig: Das Anfangsgehalt ist für alle Akademiker gleich, aber das Medizinstudium dauert doppelt so lange wie ein Bachelor-Studiengang. Nach weiteren 6 Jahren der Facharztweiterbildung steigt das Gehalt wie im öffentlichen Dienst üblich, aber in der Wirtschaft wird erheblich mehr bezahlt. Nach frühestens 15 Jahren könntest du Chefärztin sein. Dein Gehalt läge dann bei einem Drittel bis der Hälfte eines Vorstandsvorsitzenden einer Krankenkasse. Während früher Chefärzte erhebliche Nebeneinnahmen von ihren Privatpatienten bekamen, kassieren heute die Klinikkonzerne das meiste davon. Eventuell erhält ein Chefarzt einen umstrittenen „Bonus“, wenn er die Zahl der teuren Operationen erhöht, hoffentlich nicht zu Lasten seiner Patienten!
Aber auch die Arbeitsbedingungen vergraulen junge Ärzte: Die Bürokratie hat in den letzten 8 Jahren weiter zugenommen. So gibt es z.B. für einen Kassenpatienten, der eine Kur benötigt, das „Muster 60“ (R. Mey: „Antrag auf Erstellung eines Antragformulars“), ein Formular, mit dem der Patient zu seiner Kasse gehen muss. um das „Muster 61“ zu erhalten. Dieses Formular darf der Arzt nur ausfüllen, wenn er einen Kursus zum Ausfüllen bei der Kasse besucht hat! Weiterhin vorgeschrieben sind Nachweise zur Fortbildung, die überflüssig sind, da Ärzte sich immer fortgebildet haben. Das „Qualitätsmanagement“ beschreibt jeden Handgriff selbst in kleinen Praxen, misst aber nicht die Ergebnisqualität der Behandlung, und „Korruptionsbeauftrage“ sind kostspielig und beschreiben Papier, verhindern aber keine Korruption!
Aber dennoch rate ich dir nicht von deinen Plänen ab! Engagierte Ärzte werden gebraucht! Es ist weiterhin der schönste Beruf, da die Dankbarkeit der Patienten jeden Tag wieder das Gefühl gibt, Sinnvolles zu tun. Ich gehe jeden Morgen wieder gern in meine Praxis zu meinen Patienten. Du hast nach Abschluss des Studiums die Wahl zwischen ganz unterschiedlichen Fächern und kannst dir aussuchen, was dir am besten liegt und gefällt: z. B. Kinderärztin oder Labormedizinerin, Orthopädin oder Hausärztin. Da immer mehr Frauen Medizin studieren (es sind jetzt schon 70%), wird es nach Abschluss deiner Weiterbildung familienfreundliche Arbeitsbedingungen in Praxen und Krankenhäusern geben müssen, sonst werden wir den Ärztemangel nicht beseitigen können. In der Zukunft wird kein Arzt arbeitslos sein, denn der Bedarf wird wegen der Zunahme an älteren Menschen und der Zahl der Kranken steigen. Ob wir in Zukunft noch Hedgefonds-Manager benötigen ist hingegen ungewiss! Und wenn dir die Arbeitsbedingungen in Deutschland nicht gefallen, kannst du den Beruf als Ärztin in jedem anderen Land der Welt ausüben, weil die Medizin eben überall gleich ist und Ärzte gebraucht werden, im Gegensatz z. B. zum deutschen Fachanwalt für Steuerrecht. Ich bin stolz auf deine Berufswahl und werde dich bei deinen Plänen immer unterstützen!
Dein Papa
Mein lieber Alexander!
Jeder Vater ist stolz, wenn sein tägliches Tun bei seinen Kindern so positiv wirkt, dass sie ihm nacheifern möchten. So hast du mich zu deinem 12. Geburtstag mit der Ankündigung überrascht, Orthopäde werden zu wollen. Nach dem Stolz kommt aber auch gleich der Zweifel, ob ich dir wirklich raten soll, heute (Januar 2004) noch Arzt – Orthopäde – zu werden :
Zunehmend lähmt Bürokratie die Arbeitslust und frisst immer mehr Zeit. So verschlüsseln wir heute jede Diagnose nach einem Diagnoseschlüssel, der orthopädische Krankheiten gar nicht richtig erfasst, weil er zur Analyse von Todesursachen entwickelt wurde ( und glückerlicherweise stirbt man an orthopädischen Diagnosen selten). Und das alles, um ärztliches Tun für die Krankenkassen „transparenter“ und „kontrollierbarer“ zu machen. Die Patienten werden dadurch jedenfalls nicht gesünder.
Übrigens „Krankenkassen“: Zunehmend werden sie zum Hindernis einer ärztlichen Behandlung: Operationen, die 20-30 Min dauern, werden mit Anfragen und Nachfragen der Kassen mit einer bürokratischen Strafarbeit von 1-2 Stunden belegt, bis zur gerichtlichen Auseinandersetzung, ob der Patient nicht besser – wenn überhaupt schon – ambulant operiert worden wäre. Aber vielleicht sind „die Kassen“ gar nicht Schuld an meinem Frust, sondern handeln nur auf Weisung „der Politik“. Was mir von dieser Seite jetzt gerade im sog. GMG („Gesundheits-Modernisierungs-Gesetz“) zugemutet wird, ist unbeschreiblich:
Da wird die Kassenärztliche Vereinigung verpflichtet, einen „Korruptionsbeauftragten“ einzustellen, der auch noch von meinen Verwaltungsbeiträgen bezahlt werden muss! Als ob es bei Ärzten mehr Korruption gäbe, als sonst in der Gesellschaft. Wo gibt es einen solchen in Berlin? Da wird eine „Fortbildungspflicht“ mit Strafandrohung (Zulassungsentzug) bürokratisiert, als ob es nicht schon immer geregelte Fortbildung bei Ärzten gegeben hätte. Wer kontrolliert die Fortbildung von Lehrern, Richtern oder Politikern? Da wird eine Krankenkassengebühr oder „Patienten-Maut“ von 10 EUR eingeführt, die viel leichter von den Kassen selbst – vor allem mit all den Ausnahmen und „Bonusprogrammen“ – verwaltet wäre. Die Liste der Schikanen ließe sich lange fortsetzen. Sind Politiker nur neidisch, dass im Ansehen der Bevölkerung der Arztberuf an erster Stelle steht, ihr eigener aber an letzter ?
„Die Presse“ trägt zu diesem hohen Ansehen nur selten bei: So soll es Magazine geben, deren Redaktionsrichtlinien verbieten, Ärzte positiv darzustellen ( das sind die, die bei mir im Wartezimmer nicht ausliegen). Statt dessen finden sich riesige Schlagzeilen über „Kunstfehler“ und „Abrechnungsbetrug“, deren Wahrheitsgehalt sich nach wenigen Wochen häufig als falsch herausstellt. Kaum ein Artikel klärt darüber auf, dass ein „Abrechnungsbetrug“ bei Kassenpatienten nicht etwa Kassen oder Patienten, sondern ausschließlich die eigenen Kollegen schädigt, da die Kassen nur „Kopfpauschalen“ für jeden Versicherten in den Sammeltopf der Kassenärztlichen Vereinigung zahlen, aus dem dann alle ambulanten Behandlungen bezahlt werden. Rechnet ein Arzt mehr Leistungen ab, als er dürfte, nimmt er sich auf Kosten seiner Kollegen mehr Geld aus dem „Topf“. Deshalb liegt es im Interesse aller Ärzte, Abrechnungsbetrug zu stoppen, auch ohne „Korruptionsbeauftragten“.
So ist „die öffentliche Meinung“ durchaus zwiegespalten: Bei einer Umfrage glauben die meisten Menschen immer noch, dass „die Ärzte zuviel verdienen“, während nur eine Minderheit glaubt, dass ihr Arzt zuviel verdiene. Als ich vor 13 Jahren meine Praxis übernahm, bekam ich für einen „Punkt“ noch 11 Pfennig, inzwischen wird der gleiche „Punkt“ nur noch mit durchschnittlich 3,3 Cent abgerechnet. Mehrarbeit lohnt sich auch nicht, denn es gibt heute „Budgets“, also Begrenzungen der Leistungsmenge. Wenn dann bestbesoldete Kassenfunktionäre öffentlich belehren, dass Ärzte lernen müssten, betriebswirtschaftlich zu denken, werde ich wütend: Betriebswirtschaftlich kann ich nur die Kosten planen, sie sind in den 13 Jahren kontinuierlich gestiegen, die Einnahmen sind in unserem Gesundheitswesen aber „planwirtschaftlich“ reglementiert und damit gerade nicht zu planen, sie sind in den 13 Jahren ständig gesunken.
Vergleicht man die Preise für ärztliche Leistungen in der planwirtschaftlichen „Kassenmedizin“, so wird klar, dass man diese nicht mehr kostendeckend erbringen kann: Für die erste Patientenbehandlung im Quartal bekomme ich noch ca. 30,-- EUR Pauschalgebühr, die dann alle Injektionen und einfachen Verbände für das ganze Quartal abdecken soll, für jede weitere Patientenbehandlung bekomme ich ca. 1,50 EUR, was nicht einmal Miet-, Strom- und Heizkosten deckt. Überleben kann man in diesem System nur durch Abgebote außerhalb der „Kassenmedizin“, die die Patienten zusätzlich in EURO und nicht in „Punkten“ zahlen.
Besser geht es mit der Behandlung der Privatpatienten. Hier ist wenigstens der EURO-Betrag sofort erkennbar. Die Gebührenordnung ist allerdings seit 1988 (!!!) unverändert und wurde nur 1996 geringfügig angepasst. Wer von den gewerkschaftlich organisierten „Kassenfürsten“ oder Politikern arbeitet seit 1996 ohne Gehaltserhöhung ???
Mein lieber Alexander, vielleicht meinen einige Freunde, ich klage „auf hohem Niveau“, denn schließlich wohnen wir in einem schönen alten Einzelhaus mit Garten, haben neben dem 5 Jahre alten Kombi für die 5-köpfige Familie noch den 13 Jahre alten 5er BMW als Zweitwagen und fahren 2 x 2 Wochen im Jahr in den Urlaub. Aber immerhin arbeite ich dafür auch ca. 70 Stunden pro Woche, nehme 2 Wochen weniger Urlaub als meine Angestellten, habe keinen teuren Hobbies, Ferienwohnungen, Bauherrenmodelle o.ä und muss 100 % meiner Alters- und Krankenvorsorge fast ausschließlich aus voll versteuertem Geld bezahlen. Dass es mir dabei noch etwas besser geht als anderen Kollegen, verdanke ich meinem persönlichen Einsatz und dem Praxismarketing, dass mir überdurchschnittliche Zahlen von Privatpatienten und Privatleistungen beschert.
Nach den derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen kannst du meine Praxis nicht übernehmen: Ich werde in diesem Jahr 50 und du bist gerade 12. Die Kassenzulassung wird mit 68 Jahre entzogen, dann bis du gerade 30 und kannst noch nicht Facharzt für Orthopädie sein. Es fehlen also mindestens 2 (besser 5-7) Jahre an einer nahtlosen Übergabe. Selbst wenn du noch vor meinem 68. Lebensjahr Orthopäde werden könntest, würde mein Kassensitz „ausgeschrieben“ (enteignet !), und es wäre keinesfalls sicher, dass du als mein Sohn diesen Sitz bekommen könntest.
Aber trotz allem rate ich dir nicht von deinen Plänen ab, denn bis du Orthopäde sein könntest, sind alle „Schmidts“ und „Seehofers“ längst in Pension und benötigen dringend orthopädische Hilfe. Der Bedarf an Orthopäden wird dramatisch steigen, die Menschen werden älter und die Gelenke und Knochen sollen länger halten. Außerdem ist der Arztberuf weiterhin der schönste der Welt, denn die Dankbarkeit der Patienten (denke nur an die selbst gebastelten Kasperpuppen oder die handgestrickten Hausschuhe) enschädigt für die bürokratischen Schikanen. Die Orthopädie ist ein faszinierdendes Fach: Du behandelst Junge und Alte, vom Säugling bis zum Greis, Frauen und Männer, konservativ und operativ. Es ist ein vielseitiges und zukunftssicheres Fach. Spätenstens die übernächste „Gesundheitsreform“ wird den Arztberuf wieder aufwerten müssen, weil sonst die alternde Gesellschaft nicht ausreichend medizinisch versorgt werden kann. Schon jetzt deutet sich ein Mangel an. Es überwiegt also die Freude, wenn du deine Pläne umsetzen solltest.
Dein Papa